Leipzig-Gohlis

Leipziger Musikwerke AG, vormals Paul Ehrlich


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Seit der Antike versuchte man Musik mittels Glockenspielen durch Walzen wiederzugeben. Im 18.Jahrhundert erfolgte die Erfindung und dann die Produktion von Zylinderwalzen mit Stimmkämmen vorrangig in der Schweiz. Mit der Erfindung der Lochbandsteuerung von Webstühlen 1802 durch den Franzosen Jacquard war nicht nur der Grundstein zur heutigen Computertechnik, sondern auch für die einfache Steuerung von Musikautomaten gelegt. So erfolgte 1847 das 1.Patent für ein lochbandgesteuertes Musikinstrument. Auf dieser Grundlage entwickelte sich im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts eine florierende Industrie der Produktion von mechanischen Musikinstrumenten. Der Bedarf an eigener, jederzeit wiederzugebender Musik durch das Bürgertum und später auch durch die Arbeiterschaft war enorm. Während dieser Entwicklung schwang sich Leipzig zur Welthauptstadt der mechanischen Musikinstrumentenproduktion auf. Wenn man sich die Standorte der Leipziger Firmen mit der genannten Produktion im Stadtplan ansieht, fällt eine Häufung in Gohlis, damals noch bei Leipzig, auf. So kann man die Herstellernamen Paul Ehrlich, Emil Ehrlich, Lochmann, Kalliope, Dienst, Lösche u.a. nennen, die jedes Kennerherz für mechanische Musikinstrumente höher schlagen lassen. Von diesen vielen Herstellern möchte ich den zeitweise bedeutendsten und fast zwei Jahrzehnte weitgrößten Produzenten herausstellen. Seine Produkte wurden weltweit vertrieben, nach Indonesien, Afrika und Amerika und trugen so den Ruf Leipzigs hinaus.

Ernst Paul Ehrlich, geb. 1849 in Reudnitz, gest. 1925 in Leipzig. Von Beruf war er Musikinstrumentenbauer. Er erwarb das o.g. Patent und machte sich 1876 in der ehemaligen Stratton'schen Geigenfabrik in der Möckernschen Straße selbständig und entwickelte auf Grundlage der Lochbandsteuerung ein Instrument mit Namen Orchestrionette mit Endlosband und später die Ariston mit runden Pappscheiben. Diese Instrumente ließen mittels Druckluft aus einem Blasebalg über lochbandgesteuerte Hebel und Ventile Stahlzungen (ähnlich Harmonica) erklingen. Der Antrieb erfolgte durch eine Handkurbel, die den Blasebalg betätigte und das Lochband bzw. die Lochscheibe bewegte. Der Kasten, in dem sich alles befand, wurde im Gründerstil angeboten. Das Instrument war leicht und unkompliziert zu handhaben, und ein schneller Melodienwechsel war möglich. Darauf beruhte auch sicher der Anfangserfolg gegenüber den Walzeninstrumenten. Im gleichen Jahr verkaufte er sein erstes Instrument für 150 Mark nach Holland. 1887 erwarb er sein 1.Patent auf die runden Pappscheiben für die Ariston. Nun erfolgte ein beispielloser Aufstieg der Firna durch die industrielle Fertigung des handlichen und preislich erschwinglichen Aristoninstruments. Nicht nur die Vielfalt der Produktpalette,hoher qualitätsgerechter Fertigungsausstoß, sondern auch die Anzahl (später über 6000) der angebotenen Melodien brachten die Firma zu der Spitzenstellung in der Welt.

Am 9.4.1880 wurde dann die AG Fabrik Leipziger Musikwerke, vormals Paul Ehrlich mit 90 Mitarbeiterinnen und einer Monatsproduktion von 1500 Instrumenten gegründet. 1883 waren schon 300 Arbeiter angestellt. 1884 erfolgte der Umzug in die neugebauten Fabrikräume in der Möckernschen Str. 31/33.

Heute befinden sich dort infolge der Bombenangriffe im 2. Weltkrieg eine grüne Fläche mit Neubauten. Der große weltweite Erfolg der Firma veranlaßte sogar König Albert von Sachsen zu einem Besuch der Fabrik. Huldvoll nahm er eine Ariston als Geschenk für den kranken Prinz Georg an und dankte mit einem warmen Händedruck dafür.

1885 wurde das 75.000 Instrument verkauft, und es waren über 700 Arbeiter angestellt. Die Entlohnung war so gut, daß nach zeitgenössischen Berichten die "Irrlehren der Sozialdemokratie" keinen Eingang ins Werk fanden. Durch immer neuere Patente, auch zu Nebengebieten, wie das Stanzen von gleichzeitig 17 Notenscheiben oder gefalteten Scheiben und einer drehbaren Ratsche mit Musik, wurde versucht, den neuesten Stand der Technik zu halten und der Konkurrenz voraus zu sein. Ende der 80 er Jahre entwickelte die Firma Lochmann (Symphonion) Instrumente mit Blechplatten und Stahlkämmen, also robustere Bauweisen. Dadurch entstand eine stärker werdende Konkurrenz für die Leipziger Musikwerke. Man begegnete dem noch mit der Ausweitung der Produktpalette, wie z.B. selbstspielende Klaviere, Musikautomaten, Figuren mit Musik (Savoyardenknabe) oder für arme Gemeinden mechanische Harmonien. Aber mit dem Festhalten an dem Prinzip der Ariston mit Pappblättern und Metallzungen wird die Entwicklung der Zeit verpaßt. Zwar wurden bis 1889 4,5 Millionen Notenblätter verkauft und 1894 das 300 000. Ariston gebaut, aber nach 1895 gab es keine Neuentwicklung mehr. Durch den Fortschritt der Technik bei der Konkurrenz, z.B. Lochmann in Gohlis und Polyphon in Wahren sowie des Aufkommens des Phonographen und später der Sprechmaschinen, kam es 1904 zur Liquidation der Leipziger Musikwerke.Die führende Rolle in der mechanischen Musikinstrumentenproduktion übernahmen die schon genannten Firmen in Deutschland und zeitweise auch wieder in der Welt. Die Produktion in Gohlis verlagerte sich auf den Bau von mechanischen Klavieren, Harmonien und Orchestrions, P h o n o g r a p h e n , Sprechmaschinen bzw. Grammophonen. Zum Teil erfolgte dies in den ehemaligen Fabrikräumen der Leipziger Musikwerke. Aber um zum Schluß wieder zur Überschrift zu kommen, die Produkte von den Leipziger Musikwerken sind nicht vergessen. Auf Grund der hohen Stückzahlen finden sich noch heute viele Instrumente und Notenblätter auf den Flohmärkten und bei den Antiquitätenhändlern. Außerdem werden die Aristons heute nach über 100 Jahren wieder in Süddeutschland und der Schweiz in kleinen Stückzahlen nachgebaut. Es gibt noch oder schon wieder Liebhaber dieser Stücke. Abschließend sei noch erwähnt, daß fast jedes Notenblatt wieder neu bestellen werden kann. Ich hoffe, mit diesen Zeilen den werten Leser auf ein Stück vergessener Historie in der Industrieproduktion von Leipzig-Gohlis hingewiesen zu haben, und falls Ihnen mal so ein Stück in die Nähe kommt , wissen Sie nun , was unsere Altvorderen schon an Leistung fertig gebracht haben.

von Joachim Petschat.

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